Aschen-Ella in der Barmer Oper

Cinderella als Musical des 21. Jahrhunderts

von Johannes Vesper

Foto © Bjoern Hickmann

Aschen-Ella in der Barmer Oper
 
Cinderella als Musical des 21. Jahrhunderts
 
Von Johannes Vesper
 
Das Märchen stammt ursprünglich aus Neapel, wurde von Charles Perrault (1628-1703) in Frankreich aufgeschrieben und 1812 in die Märchensammlung der Brüder Grimm aufgenommen. Während in der Grimmschen Fassung Täubchen („rucke di guh“) helfen, die Linsen aus der Asche zu lesen und das schöne Ballkleid vom Haselnußbaum auf dem Grab der Mutter herunterfällt, verwandeln sich bei Charles Perrault Mäuse, Ratten und Eidechsen in die Pferde der Kutsche und Marie, eine alte Närrin, sorgt für psychische Stabilität und schöne Kleider. Alle Wünsche dieser Welt sind Schnurren und Sperenzchen für sie, aber allein die Närrin weiß, was wichtig ist im Leben. Das Musical als Film 1957 von Rodgers (Komposition) und Hammerstein II (Texte) sahen Millionen Zuschauer. In Deutschland sorgte der Film „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ 1973 für Popularität und auch eine neue Filmproduktion 1997 erfreute sich riesigen Publikumsinteresses. 2013 gabs es eine 3. Musicalfassung (neues Buch von Douglas Carter Beane), die jetzt in Wuppertal als dritte Produktion im deutschsprachigen Raum (nach München 2018 und Dresden 2020) Premiere hatte. Die moderne Geschichte der „Cinderella“ von 2013 unterscheidet sich von den Vorgängerversionen: Zwar wird Cinderella auch heute von Stiefmutter und Stiefschwestern drangsaliert und ausgebeutet, könnte auch in der Schule Mobbing erleben, droht jedenfalls depressiv zu werden, wenn sie sich in ihrem Bett unter die Bettdecke hinter großen Stofftieren verkriecht. Sie hat aber Träume und zieht mit Hilfe der Musik Kraft daraus. So kann sie sich den Prinzen angeln und politisch wirken. Da wird Aschen-Ella („cinder“ (engl.) = „Asche“ auf Deutsch) zu einem Symbol für Frauenpower und das Märchen als modernes Musical zu einer moralischen Anstalt für Frauen. Die Grundgeschichte läuft wie bekannt. Der zunächst naive Prinz verliebt sich auf dem großen Ball in Aschen-Ella, die ihn konfrontiert mit dem Elend seines Volkes. Der Freund ihrer Stiefschwester, ein Sozialaktivist, bekommt über Cinderella die Möglichkeit dem Prinzen das Elend des Volkes vorzutragen, der hat im Politologiestudium aufgepaßt und in einem alten Lehrbuch gelesen, daß dem Volke nur mit einer demokratisch gewählten Regierung zu helfen ist.
 

Foto © Bjoern Hickmann

„Mach aus Träumen Wirklichkeit. Leb den Augenblick. Denn in dir lebt Musik“. Damit endet dieses Musical nach sentimentalem Herzschmerz im Happyend. Musikalisch stark beeinflußt vom Jazz mit gelegentlich durchaus schmissigen Foxklängen, läßt das Musical jedoch filmmusikalischen Tiefgang weitgehend, nicht jedoch anhaltende Banalität vermissen trotz der glänzend aufspielenden Sinfoniker unter dem souveränen Dirigat von Johannes Witt, der kürzlich hier mit „Angel´s Bone“ reüssierte. Solocello und hohe Geige retten in Bezug auf Liebe und Gefühl, was musikalisch zu retten ist. Die spielerische Bühnenpräsenz aller ist beeindruckend und die rockende Frauenband (Stiefschwestern, -mutter plus Ella) ein theatralischer Höhepunkt. Tänzerische Einwürfe und der souverän singende wie spielende große Chor inklusive des Jugendchors der Bühnen (Einstudierung Ulrich Zippelius) sorgen in ihren Massenszenen für gute Unterhaltung. Da ist etwas los auf der Bühne. Prominente Sängerinnen und Sänger, teils mit speziellen Erfahrungen in dem Genre, wurden für das Musical als Gäste von auswärts geholt.
Susan Ketley sang als Solistin schon während des Studiums Hauptrollen in Musicals (Oper Dortmund, Staatstheater Nürnberg) und beeindruckte spielerisch wie sängerisch ausdrucksstark sowohl als pummelige Cinderella im Sackkleid wie im attraktiven Ballkleid bei Hofe. Auch Jonas Hein (Chris) und Stefanie Smailes (meist shoppende, zickige Madame) sind in der Musical-Szene weithin bekannt und setzten Glanzlichter, ebenso wie Gioia Heid und Edith Grossmann(Gabrielle und Charlotte). Herausragend stimmlich wie spielerisch auch die erfahrende Gundula Hintz, die an den großen Opernhäusern Europas und bei den Berliner Festwochen gastiert. Mark Bowman-Hester ist in Wuppertal bekannt und bei Cinderella ein authentisch intriganter Sebastian. Nils Karsten als Jean-Michel überzeugte als Öko- und Sozialaktivist nicht nur Gabrielle und den Prinzen.
Das abwechslungsreiche, sich immer wieder ändernde Bühnenbild (Hans Ramuikic) bietet erstmals klimaneutrale Musiktheaterproduktion in Wuppertal, was bedeutet, daß in wiederverwendbarem, modularem Baukastensystem Wand- und Mauerelemente auf der Bühne verschoben werden können. So wird aus einem Wohnzimmer mit Hochbett schnell ein Saal mit Blick in den dunklen, sternenbesäten Himmel aus dem Cinderella mit einer Montgolfiere einschwebt. Die Elemente werden auch für weitere Produktionen verwendet werden. Auf diese Weise streben die Bühnen Nachhaltigkeit und klimaneutrale Musiktheaterproduktion and nutzen bei „modular stage zero“ die Forschungskapazität des Wuppertal-Instituts.
Insgesamt beglückte der österreichischen Regisseur Christian Thausing, der sich im Operetten- und Musicalfach (Leoben, Graz u.a.) einen Namen gemacht hat, das Premierenpublikum mit einem unterhaltsamen Spektakel, welches immer wieder von Szenenbeifall und zum Schluß mit stehenden Ovationen dafür dankte. Der Abend amüsiert die ganze Familie inklusive Kinder ab 10 Jahren!
 

Foto © Bjoern Hickmann

Premiere: Sa. 9. Dez. 2023, 19:30 Uhr, Opernhaus Wuppertal, Kurt-Drees-Straße 4
Rodgers und Hammerstein‘s ›Cinderella‹. Musik von Richard Rodgers. Gesangstexte von Oscar Hammerstein II. Neues Buch von Douglas Carter Beane. Originalbuch von Oscar Hammerstein II. Deutsche Fassung von Jens Luckwaldt.
In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln.
Weitere Termine:
 
Fr. 15. Dezember 2023, 19:30 Uhr, Opernhaus Wuppertal, Kurt-Drees-Straße 4
Sa. 16. Dezember 2023, 19:30 Uhr, Opernhaus Wuppertal, Kurt-Drees-Straße 4
Fr. 22. Dezember 2023, 19:30 Uhr, Opernhaus Wuppertal, Kurt-Drees-Straße 4
Di. 26. Dezember 2023, 18:00 Uhr, Opernhaus Wuppertal, Kurt-Drees-Straße 4
Fr. 29. Dezember 2023, 19:30 Uhr, Opernhaus Wuppertal, Kurt-Drees-Straße 4
Sa. 6. Januar 2024, 19:30 Uhr, Opernhaus Wuppertal, Kurt-Drees-Straße 4
So. 7. Januar 2024, 16:00 Uhr, Opernhaus Wuppertal, Kurt-Drees-Straße 4
Sa. 10. Februar 2024, 19:30 Uhr, Opernhaus Wuppertal, Kurt-Drees-Straße 4
So. 25. Februar 2024, 18:00 Uhr, Opernhaus Wuppertal, Kurt-Drees-Straße 4
Fr. 15. März 2024, 19:30 Uhr, Opernhaus Wuppertal, Kurt-Drees-Straße 4
Sa. 30. März 2024; 19:30 Uhr, Opernhaus Wuppertal, Kurt-Drees-Straße 4
 
Künstlerisches Team: Musikalische Leitung: Johannes Witt, Nachdirigat: Roberto Secilla, Inszenierung: Christian Thausing, Bühne: Hana Ramujkic, Lichtdesign: Florian Kerl. Kostüme: Devi Saha, Choreografie: Evamaria Mayer, Choreinstudierung: Ulrich Zippelius, Einstudierung Jugendchor: Eva Caspari, Dramaturgie: Laura Knoll
Besetzung: Ella: Susann Ketley, als Gast. Christopher: Jonas Hein, als Gast, Madame: Stefanie Smailes, als Gast, Tamara Peters, als Gast (29.12.23/06.01.24/10.02.24), Sebastian: Mark Bowman-Hester, als Gast, Marie (Gute Fee): Gundula Hintz, als Gast, Gabrielle: Gioia Heid, als Gast, Charlotte: Edith Grossman, Jean-Michel: Nils Karsten, als Gast, Dustin Smailes, als Gast (09.12.23/15.12.23), Graf Dingelstein: Jason Lee. Tänzer:innen: Giobanni Nicolella (Dance Captain), Thomas Bauer, Naila Fiol Diaz, Sophie Glora, Iván Keim (Swing), Lorenzo Malisan, Noemie Martone (Swing) und Evie Poaros als Gäste, Opernchor der Wuppertaler Bühnen